afrikanisches Königtum und Herrscherinsignien

afrikanisches Königtum und Herrscherinsignien
afrikanisches Königtum und Herrscherinsignien
 
Bereits aus dem ägyptischen Alten Reich, ebenso wie aus nubischen und äthiopischen Reichen, gibt es Hinweise, dass die Herrscher mehr waren als nur politische Machthaber. In Altägypten war der gesamte Boden Eigentum des Pharao, der als Sohn des Sonnengottes galt. Das sakrale Königtum in Afrika kann also auf eine lange Tradition zurückblicken. Die matrilineare Nachfolge - der Sohn der Schwester des Königs folgt dem König nach und nicht sein eigener Sohn - ist in den nordostafrikanischen Reichen sehr verbreitet, ebenso wie die herausragende Position der Königinmutter. Die gleichen Elemente, die in den alten Reichen des Nordostens beschrieben sind, finden wir auch in den meisten traditionellen schwarzafrikanischen Königreichen. Hier lassen sich drei Typen von Königen unterscheiden: Gottkönige, Priesterkönige und sakrale Könige. Bei den Gottkönigen wird der König vergöttlicht oder als Sohn Gottes bezeichnet. Die Priesterkönige versehen neben der politischen auch die höchste priesterliche Funktion im offiziellen Staatskult; sie sind beispielsweise auch Regenmacher oder Opferer beim Kult der Königsahnen. Sakrale Könige sind mystische Spiegelbilder ihres Reiches und vor allem ihres Staatsvolkes. Alles, was ihnen widerfährt, geschieht auch ihrem gesamten Reich. Aus dieser vitalen Funktion des Königs für das Reich ergaben sich strenge Kriterien für die Nachfolge. Der Kandidat musste körperlich integer, das heißt nicht krank oder verkrüppelt sein. Er musste potent sein, ein guter Redner und geistig zurechnungsfähig. In vielen Reichen war es üblich, dass er sich gegen seine Mitbewerber im Kampf durchzusetzen hatte.
 
Reichsinsignien symbolisieren und begleiten die Königsmacht. Wer die Insignien besitzt, ist auch der legale Inhaber der Macht. Zu den am weitesten verbreiteten Insignien gehören der Königsthron, die Königstrommel, der Armreif, die Krone oder der Hut und die Eisenglocke — häufig als Doppelglocke. Allein die Königsthrone Afrikas zeichnen sich durch eine ungeheure Vielfalt in der Gestalt und eine erlesene Verarbeitung aus. Besonders prachtvolle Exemplare sind die Throne aus Kamerun, wie etwa der von König Njoya aus Foumban. Dieser Thron gelangte als Geschenk des Königs an Kaiser Wilhelm II. 1908 nach Deutschland.
 
Sehr bekannt sind auch die sakralen Hocker der Ashanti in Ghana, die vom König, der Königinmutter oder einem Häuptling als Thron benutzt werden. Die Form ist immer rechteckig. Das Viereck mit Hervorhebung der vier Ecken und der kräftigen Mittelsäule versinnbildlicht die Ganzheit: das ganze Häuptlingstum, das ganze Reich oder die ganze Erde. Die Säule im Zentrum betont das Sakrale, die Weltenachse. Sie verbindet die Lebenden mit den Ahnen in der Unterwelt und beide mit dem Überirdischen, einschließlich Gott. So drückt der Thron der Ashanti in seiner schlichten Symbilik die Sakralität des Herrschers aus. Nur besondere Spezialisten durften Throne herstellen. Auch die kunstvoll geschnitzten Häuptlingsstühle der Chokwe in Angola und die Hocker der Luba-Hemba aus dem Süden der Demokratischen Republik Kongo sind prachtvolle Insignien königlicher Macht. Neben den Stühlen und Thronen benutzten afrikanische Könige manchmal auch Menschen als Sitzunterlage, wie etwa manche Könige im Kongo, die auf Sklaven saßen.
 
Auch die Königstrommel ist sichtbare Königsmacht. In Königreichen, in denen — wie vor allem in Ost- und Südafrika — die herrschende Schicht aus einer Hirtenbevölkerung stammt, besitzt der König häufig eine »heilige Herde«; der Leitstier ist dabei das »Alter Ego« des Königs. Die Herden sind nicht zum Verzehr bestimmt; allerdings muss der König in bestimmten zeitlichen Abständen aus der »heiligen Herde« einen bestimmten Stier (aber nie sein »Alter Ego«) töten. Mit dessen Fell wird die neue Königstrommel bespannt. In der traditionellen Kultur der vergangenen Jahrhunderte erhielt diese oft Menschenopfer. Die Trommel stellt heute noch symbolisch den Amtsvorgänger oder genauer gesagt den Begründer des Reiches dar; ihr Klang wird als die Stimme des Urahns wahrgenommen. Sie kann Regen, Entsühnung des Volkes und den Sieg im Krieg bringen. Sie wird allerdings äußerst selten geschlagen. In den Reichen des Ostens und des Südens gibt es für die Königstrommel eigene Wächter und Wächterinnen. Bei Feindseligkeiten muss immer zuerst die Königstrommel in Sicherheit gebracht werden.
 
Jeder afrikanische Klanälteste, Häuptling oder König, trägt einen oder mehrere Armreifen. Je nach Status und Region ist dieser aus Leder, Elfenbein, Eisen, Kupfer oder Gold. Fast immer gehört ein Reif des verstorbenen Vorgängers dazu, um zu dokumentieren, dass man der legale Nachkomme ist. Weil der Herrscher diesen Urahn neu verkörpert, ist seine Herrschaft gleichzeitig legal und vermittelt Heil. Denn die Ursprungszeit, die Zeit des vergöttlichten Ahnen, auf die sich dieses königliche Symbol bezieht, ist immer auch »Heilszeit«. Manche afrikanischen Reiche kennen kostbare Kronen, wie etwa die Yoruba die Perlenkrone, andere wiederum haben typische Hüte, die nur vom König oder von Häuptlingen getragen werden dürfen. Bei den Pende im Westen der Demokratischen Republik Kongo tragen die Häuptlinge mit Perlen bestickte Hüte. Im alten Reich Kongo und seinem Einzugsgebiet bedeutete der Ausdruck für Königs- beziehungsweise Häuptlingshut »Mpu« gleichzeitig »Territorium des Reiches«, das heißt der Träger des Hutes war auch Herr des Territoriums.
 
Die Eisenglocke, mit der das Herannahen eines Herrschers angekündigt wurde, ist vor allem in den südlichen und den zentralafrikanischen Reichen als Doppelglocke bekannt. In Benin ist sie als viereckige Metallglocke in Gebrauch gewesen. Je nach Region kommen noch zahlreiche andere Objekte als Königsinsignien hinzu. So war im Ashanti-Reich in Ghana Goldschmuck dem König vorbehalten. Untergeordnete Herrscher durften ihn zwar tragen, aber nicht besitzen. Ähnlich waren große Elefantenzähne, Felle, Zähne und Krallen von Löwen und Leoparden, Federn und Krallen von Adlern sowie vieles andere Königen und Häuptlingen vorbehalten. Auch die Farbe Rot war — vergleichbar dem Purpur im europäischen Mittelalter — in Afrika die Farbe des Königs.
 
Die sakralen Könige in Afrika besaßen häufig nur geringe politische Macht. Sie waren durch die vielen Tabus, die ihnen auferlegt waren, gar nicht in der Lage, direkt in Aktionen, etwa in eine militärische Kampagne, einzugreifen. Sie durften zum Beispiel die Erde nicht berühren, nicht in der Öffentlichkeit essen und trinken, wurden völlig vom Volk abgesondert und ähnliches mehr. Sie waren Gefangene ihrer Heiligkeit. Die Politik machten andere. Die Rolle der Königinmutter konnte ebenfalls eine Eingrenzung der Königsmacht bedeuten. Sie bildete praktisch einen Staat im Staate, über den nur sie herrschte. Sie konnte eigene Ländereien und eigene Einnahmen haben, Verurteilte begnadigen und ähnliches mehr. Ihre Macht war jedoch an die Herrschaftszeit ihres Sohnes gekoppelt und endete mit seinem Tod. Der König musste bereits bei seiner Inthronisation zeigen, dass er das Gesetz war und ihm nicht unterstand. Das schwerste Vergehen in Afrika - neben der Hexerei - war der Inzest. Dennoch war der König in sehr vielen Königreichen verpflichtet, eine klassifikatorische Mutter oder Schwester, das heißt eine sehr enge weibliche Verwandte, zu seiner ersten Frau zu nehmen. Der Königsinzest war in Afrika, wenigstens ideologisch, ein Wesenselement des sakralen Königtums. Die ersten christlichen Missionare des 17. und 18. Jahrhunderts machten dem Herrscher im alten Königreich Kongo viele Schwierigkeiten, als sie merkten, dass dieser, obwohl offiziell getauft, immer eine nahe Verwandte in seinem Harem hatte.
 
Besondere Aufmerksamkeit in den Augen der Europäer fand immer der rituelle Königsmord. Krankheit, Impotenz, Senilität und Schwäche des Königs waren in den meisten Reichen ein Grund, diesen zu beseitigen. In Ruanda hieß es, sobald der älteste Sohn den Bogen des Königs zerbrechen konnte, musste der König den Giftbecher nehmen. Bei den Kongo haben zwei Sklaven dem siechen König die Kehle durchstochen. Andere inszenierten mit den Nachbarn einen Krieg und gaben an, wo diese den König töten konnten. Auf jeden Fall musste ein Neuanfang gemacht werden. Mit dem König starb auch das Gesetz. Das darauf folgende Interregnum, eine gesetzlose Zeit, war stets von Unruhen begleitet. Erst nach der Inthronisation eines neuen Königs kehrte die Gesellschaft zur Ordnung zurück.
 
Prof. Dr. Josef Franz Thiel
 
 
Broszinsky-Schwabe, Edith: Kultur in Schwarzafrika. Geschichte — Tradition — UmbruchIdentität. Köln 1988.
 Geary, Christraud und Ndam Njoya, Adamou: Mandu Yenu. Bilder aus Bamum, einem westafrikanischen Königreich 1902—1915. Aus dem Französischen. München 1985.

Universal-Lexikon. 2012.

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